Anlegerrechte gestärkt – Banken müssen Beratungsprotokoll anfertigen
I. Gesetzesinhalt
In erster Linie sollte das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) aus dem Jahr 1899 modernisiert und an internationale Gepflogenheiten angepasst werden. Dabei wurden die Möglichkeiten, bei denen die Anlegermehrheit über Anleihebedingungen entscheidet, inhaltlich erweitert. Außerdem sorgt das neue Schuldverschreibungsgesetz für mehr Transparenz hinsichtlich der in der Schuldverschreibung versprochenen Leistung, so dass Anleger die Möglichkeit haben, Risiken aus der Schuldverschreibung besser zu erkennen. Dazu wurden die Verfahrensregelungen zur Einberufung, Frist, Bekanntmachung von Gläubigerversammlungen modernisiert und die Anfechtung von Gläubigerbeschlüssen zugelassen. Zusätzlich wurden die Vorschriften, wer stimmberechtigt ist, geändert und die Möglichkeit eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger eingeführt.
Angesichts der Erfahrungen während der Finanzmarktkrise brachte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im Februar 2009 den Vorschlag ein, neben der Neufassung des Schuldverschreibungsgesetzes auch Regeln zur Stärkung des Anlegerschutzes einzufügen und die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen im Fall einer Falschberatung bei Wertpapiergeschäften zu verbessern.
So wurden durch das „Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“ neben den Änderungen im SchVG auch Änderungen im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), im Depotgesetzes (DepotG) und in der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) notwendig. Das Wertpapierberatungsgeschäft zwischen Banken und Privatanlegern wird dadurch in einigen wichtigen Punkten geändert, um die Position des Anlegers zu stärken.
1. Protokollpflicht
Bankberater müssen zukünftig jedes Kundenberatungsgespräch protokollieren und dem Anleger eine Ausfertigung des Beratungsprotokolls aushändigen. Das Protokoll enthält die Angaben, Wünsche und Risikokriterien des Anlegers, sowie die daraufhin empfohlenen Produkte mit den Gründen, warum diese dem Anleger empfohlen wurden. Außerdem muss es einen Hinweis auf das Rücktrittsrecht enthalten.
Von der Schriftform erhofft sich der Gesetzgeber eine Qualitätsverbesserung bei der Wertpapierberatung und mehr Sorgfalt bei der Auswahl der entsprechenden Produkte. Sie sollen zu den jeweiligen Kundenbedürfnissen und insbesondere zur Risikotragfähigkeit der Anleger passen. Die Änderungen in der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (§ 14 Abs. 6 WpDVerOV) legen folgenden Mindestinhalt für das Beratungsprotokoll fest:
- den Anlass der Anlageberatung,
- die Dauer des Beratungsgesprächs,
- die der Beratung zugrunde liegenden Informationen über die persönliche Situation des Kunden, einschließlich der nach § 31 Abs. 4 Satz 1 WpHG einzuholenden Informationen, sowie über die Finanzinstrumente und Wertpapierdienstleistungen, die Gegenstand der Anlageberatung sind,
- die vom Kunden im Zusammenhang mit der Anlageberatung geäußerten wesentlichen Anliegen und deren Gewichtung,
- die im Verlauf des Beratungsgesprächs erteilten Empfehlungen und die für diese Empfehlungen genannten wesentlichen Gründe.
2. Aushändigung des Protokolls
Privatanleger können mittels des Beratungsprotokolls nicht nur das Besprochene noch einmal nachvollziehen. Es kann auch als Beweismittel in einem eventuellen Gerichtsverfahren wegen Falschberatung dienen. Geht aus dem Protokoll z. B. hervor, dass der Kunde eine risikolose Anlage sucht, wäre nachweisbar, wenn der Berater dann ein risikobehaftetes Papier empfohlen hat. Sollte das Protokoll lückenhaft oder in sich unschlüssig sein, ist die Bank in der Beweislast, dass sie gleichwohl ordnungsgemäß beraten hat. Durch das neue Gesetz wurde hinter § 34 Abs. 2 WpHG der folgende Absatz eingefügt: „Das Protokoll ist von demjenigen zu unterzeichnen, der die Anlageberatung durchgeführt hat; eine Ausfertigung ist dem Kunden unverzüglich nach Abschluss der Anlageberatung, jedenfalls vor einem auf der Beratung beruhenden Geschäftsabschluss (…) zur Verfügung zu stellen.“ Dies stellt eine Änderung gegenüber der vorherigen Situation dar, in der bereits viele Banken die Beratungsgespräche protokollierten und das Protokoll vom Kunden unterschreiben ließen. Allerdings dienten diese Protokolle oft eher der Bank zur Exkulpierung, als dem Kundeninteresse, denn der Kunde erhielt meistens keine Ausfertigung und hatte daher oft Schwierigkeiten in der Beweisführung bei einer eventuellen Falschberatung.
3. Rücktrittsrecht bei Telefonberatung
Besonders problematisch empfinden Banken das einwöchige Rücktrittsrecht der Anleger, das ebenfalls durch das neue Gesetz eingeführt wurde; denn auch telefonische Beratungsgespräche müssen in einem Protokoll festgehalten werden, das dem Kunden zuzustellen ist. Sofern das Protokoll unrichtig oder unvollständig ist, hat der Kunde ein einwöchiges Rücktrittsrecht. So soll vermieden werden, dass die Bank Finanzprodukte verkauft, die weder dem Wunsch noch dem Risikoprofil des Bankkunden entsprechen. „Der Kunde muss auf das Rücktrittsrecht und die Frist hingewiesen werden“, heißt es im Gesetz. Während Verbraucherschützer hier auf eine deutliche Qualitätsverbesserung insbesondere bei der telefonischen Beratung hoffen, befürchten Banken, dass es Anleger gibt, die das Rücktrittsrecht ausnutzen, indem sie die Börsenentwicklung abwarten, und bei negativer Bewegung einen Rücktrittsgrund suchen. Ein ähnliches Rücktrittsrecht gibt es seit längerem auch bei fondsgebundenen Lebensversicherungen, wo die Frist sogar 30 Tage beträgt. Aber anders als die Banken müssen die Versicherungsgesellschaften das Risiko einer negativen Wertentwicklung während dieser Zeit nicht tragen. Insbesondere bei Versicherungsverträgen gegen Einmal-Prämie parken die Versicherer die Anlagesumme im Regelfall für 30 Tage auf einem Tagesgeldkonto, und legen das Geld erst danach in die ausgewählten (eventuell risikobehafteten) Fonds an. Im Wertpapierbereich können die Banken diesen Weg aber nicht nutzen, denn hier müssen sie laut WpHG (§ 31c Abs. 1 Ziff.1 WpHG) eine unverzügliche Orderausführung gewährleisten.
4. Verlängerte Verjährungpflichten
Neben dem verpflichtenden Beratungsprotokoll und dem einwöchigen Rücktrittsrecht für Anleger wurde durch das neue Gesetz die Verjährungsfrist bei Schadensersatzansprüchen wegen Falschberatung bei Wertpapieranlagen verlängert. Für solche Schadensersatzansprüche galt bisher nach § 37a WpHG eine kurze Sonderverjährungsfrist von drei Jahren nach dem Erwerb des Wertpapiers, über das der Anleger unzureichend aufgeklärt oder beraten worden ist. Zu beobachten war jedoch, dass viele Anleger wegen der langen Laufzeit vieler Finanzanlagen die Auswirkungen einer Fehlberatung oft erst nach Ablauf der verkürzten Sonderverjährungsfrist erkennen konnten.
- 37a WpHG wird nun durch das neue Gesetz aufgehoben. Damit gilt bei Schadensersatzansprüchen wegen Falschberatung bei Wertpapieranlagen künftig die regelmäßige Verjährung. Das heißt, die Dreijahresfrist beginnt erst dann zu laufen, wenn der Anleger von dem Schaden erfahren hat. Unabhängig von der Kenntnis des Anlegers vom Schaden verjähren die Ansprüche jedoch spätestens in zehn Jahren. Damit gibt es eine kenntnisabhängige relative und eine kenntnisunabhängige absolute Verjährungsfrist, was im Wertpapierbereich nicht unüblich ist. Zum Hintergrund der Verjährungsfrist bei Schadensersatzansprüchen wegen Falschberatung bei Wertpapieranlagen ist anzumerken, dass die Regelverjährung nach BGB im Jahr 1998 noch bei 30 Jahren lag (§ 195 BGB a. F.). Durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz (3. FFG v. 24. 3. 1998, BGBl 1998 I S. 529) wurde der § 37a WpHG im Jahr 1998 in das WpHG eingefügt und die Verjährung auf drei Jahre verkürzt. Damals wollte der Gesetzgeber das Haftungsrisiko der Anlageberater begrenzen, um ihnen die Empfehlung auch von risikoreicheren und damit renditeträchtigeren Kapitalanlagen zu erleichtern. Diese verjährungsrechtliche Privilegierung des Vertriebs von Wertpapieren wurde nun wieder aufgehoben.
- Umsetzung durch die Banken
Die Zeit zwischen Inkrafttreten des Gesetzes (5. 8. 2009) und Umsetzung (1. 1. 2010) betrug knappe fünf Monate, was für die Umsetzung einer solch massiven Änderung im Bankenbereich einen recht kurzen Reaktions-Zeitraum darstellt. Während bei anderen Gesetzen möglicher Weise die Aufsichtsbehörde Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den ersten Monaten noch kulant sein kann, greift bei der Umsetzung des Anlegerschutz-/Schuldverschreibungsgesetz das Zivilrecht, das keine zeitlichen Kulanz-Regelungen ermöglicht. Die Kreditinstitute mussten daher die neuen Regelungen konsequent und rasch umsetzen. Angesichts der erst kurzen Zeit seit Umsetzung müssen die Konsequenzen für die Bankberatung abgewartet werden; einige Tendenzen zeichnen sich jedoch bereits ab.
1. Einschränkungen bei der Telefonberatung
Eine Reaktion wird sein, dass einige Banken die telefonische Beratung einstellen. Durch den Preisdruck in Deutschland ist der Verdienst der Banken bei der Wertpapierberatung und insbesondere bei Depotführung und Wertpapierhandel geschrumpft. Wenn den Banken das Risiko des siebentägigen Rücktrittsrechts zu hoch erscheint, werden sie zukünftig keine Telefonberatung mehr anbieten.
2. Standardisierung des Breitengeschäfts
Natürlich ist zu erwarten, dass das neu eingeführte Beratungsprotokoll vor den Gerichten als Beweismittel eingesetzt werden wird. Daher sind die Banken bemüht, äußerst sorgfältig zu protokollieren. Damit bei der Vielzahl der Anlageberater Formulierungen vermieden werden, die vor Gericht nicht halten, wird es zu einer Standardisierung der Protokolle mittels elektronischer Tools kommen.
Dazu haben Banken Schemata entwickelt, welche Kundentypen welche Wertpapiere empfohlen bekommen dürfen. Als Folge werden sich Berater stärker als bisher auf zentral ausgewählte Fonds und Wertpapiere sowie auf die „Hausmeinung“ konzentrieren. Einerseits beugt dies dem Risiko vor, dass Anleger für sie ungeeignete Produkte empfohlen bekommen; andererseits führt dies zu einer Standardisierung im Breitengeschäft. Dadurch dürfte zum einen das open-architecture-Konzept im Fondsbereich weiter auf dem Rückzug sein; zum anderen wird sich eine wirklich individuelle Beratung im niedrigen bis mittleren Kundensegment eher zur Ausnahme entwickeln. Lediglich für vermögende Anleger werden sich aus Bankensicht der Aufwand und das zusätzliche Risiko einer individuellen Beratung lohnen. Hier dürfte der neue Trend zur Honorarberatung, der in Deutschland langsam erstarkt, weiteren Vorschub leisten. Auf diese Weise kämen auch Nettoprodukte wie ETFs vermehrt zum Einsatz, die derzeit nicht aktiv vermarktet werden, da die Provisionen hier niedrig sind oder es gar keine gibt. Da eine individuelle Beratung auf Honorarbasis kostspielig ist, wird sie eher vom gehobenen Kundensegment in Anspruch genommen.
3. Ausweichen auf Vermögensverwaltung und Execution-Only-Geschäft
Eine weitere Konsequenz wird sein, dass Banken versuchen werden, den gesetzlichen Tatbestand der Anlageberatung zu meiden. Dies kann dadurch erreicht werden, dass sie ihre Kunden in eine – meistens zentral von der Bank geführte – Vermögensverwaltung bringen. Ist für den Anleger einmal das geeignete Risikoprofil gefunden, muss die Bank ihren Kunden nicht bei jeder einzelnen Umschichtung kontaktieren und ein Beratungsprotokoll anfertigen, sondern der Vermögensverwalter kann innerhalb seines Mandats agieren. Vermieden wird die Protokollpflicht auch beim reinen Ausführungsgeschäft („Execution Only“). Direktbanken, über die gut informierte Kunden ihre Wertpapierorders effizient abwickeln können, unterliegen weder Protokollpflicht noch Rücktrittsrecht, da sie im Regelfall nicht beratend tätig sind.
III. Fazit
Die Finanzmarktkrise hat Differenzen zwischen Kunden und deren Wertpapierberatern offengelegt. Einige Banken haben eine so starke Renditeausrichtung verfolgt, dass dies den Aufbau eines gewissen Vertriebsdrucks bei den Kundenberatern zur Folge hatte. Dadurch wurden gelegentlich Anlegern, die eine risikolose Anlage bevorzugen, riskantere Anlagen empfohlen, da diese provisionsträchtiger sind. Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung scheiterten aber oft daran, dass die Wertpapierkunden die fehlerhafte Beratung nicht nachweisen konnten oder die kurze Sonderverjährungsfrist für Wertpapiere bereits abgelaufen war. Durch das Beratungsprotokoll haben Kunden zukünftig ein belastbares Beweisstück in der Hand, und auch die Verjährungsfrist wurde verlängert. Dies ändert allerdings nichts an der Informationsasymmetrie zwischen Berater und Kunden. Ein geschulter Berater wird möglicher Weise Textbausteine verwenden, die vom juristischen Experten der Bank auf ihre Haltbarkeit vor Gericht hin überprüft wurden. Eine solch eingehende Prüfung und Expertenberatung haben Anleger in der Praxis eher selten, so dass die Protokolle tendenziell eher zu Gunsten der Bank formuliert sein werden. Vielmehr wird es vorkommen, dass Anleger in der Kürze der Zeit und mangels juristischer und wertpapierspezifischer Kenntnisse das Beratungsprotokoll mehr oder minder ungeprüft unterschreiben. Grobe Diskrepanzen zwischen dem Wunsch des Anlegers und der gewählten Anlageart lassen sich aber durch das Protokoll zukünftig leichter nachweisen, und auch die verlängerte Verjährungsfrist dient dem Anlegerschutz.